Wer nichts wird, wird virtuell, lautete ein scherzhaftes Sprichwort als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte: Doch heute ist die exzessive Nutzung von Computernetzwerken ganz alltäglich. Einige Forscher warnen bereits vor einer Verschiebung der Nervenbahnen in unserem Gehirn – und zwar zu unserem Nachteil.

Verändert das Leben im digitalen Zeitalter die neuronale Verdrahtung des Gehirns? Diese bisher vor allem von besorgten Eltern gestellte Frage beschäftigt jetzt auch zunehmend die Neurobiologie und Psychologie. Einige Wissenschaftler sind überzeugt, dass der regelmäßige Aufenthalt im Netz die Art und Weise beeinflussen könnte, wie wir lesen, lernen und miteinander umgehen. Beweise für diese These liegen allerdings noch nicht vor.

Wenn das Gehirn mehr Zeit mit der Bedienung technischer Systeme verbringt, so lautet die These des Psychologen Gary Small von der Universität Los Angeles (UCLA), dann geraten grundlegende soziale Fähigkeiten in den Hintergrund – etwa die Fähigkeit, im persönlichen Gespräch den Gesichtsausdruck des Gegenübers zu deuten. Die an der Face-to-Face-Kommunikation beteiligten Nervenleitungen könnten bei ständiger digitaler Beschäftigung schwächer werden, erklärt Small. Die mögliche Folge seien soziale Unbeholfenheit, eine Unfähigkeit zur Deutung nonverbaler Botschaften, Isolierung und nachlassendes Interesse an traditionellen Unterrichtssituationen.

Small vermutet, dass die Wirkung am stärksten bei Personen ist, die jetzt zwischen 20 und 30 Jahre alt sind und die bereits seit ihrer Kindheit mit dem Computer vertraut sind. Der Wissenschaftler nennt sie „digital natives“ (digitale Eingeborene) – im Unterschied zu den „digital immigrants“, die ihre Kindheit und Jugend noch in rein analogen Zusammenhängen verbracht haben und als „digitale Zuwanderer“ erst in einem späteren Lebensabschnitt mit den Möglichkeiten des Computers vertraut geworden sind.

Small hat seine Überlegungen in einem Buch ausgebreitet mit dem Titel „iBrain: Surviving the Technological Alteration of the Modern Mind“. Er räumt ein, dass er keinen eindeutigen Fall kennt, der die These von der verändernden Wirkung digitaler Lebenswelten auf die Struktur der Nervenbahnen im Gehirn beweist.

Smalls Thesen seien „ziemlich interessant und sicherlich provokant“, sagt die Gehirnforscherin Tracey Shors vom Zentrum für Kollaborative Neurowissenschaft an der Rutgers University im US-Staat New Jersey. Andere sind skeptischer. Der Psychologe Robert Kurzban von der University of Pennsylvania sagt, es gebe noch erhebliche Forschungslücken, wenn es um den Einfluss persönlicher Erfahrungen auf die für soziale Interaktion zuständige Hirnpartien gehe.

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Quelle: welt.de