Interview mit Gunter Ewald, Mathematiker, Philosoph

November 21, 2009

Die Quantenphysik beamt die Vorstellungskraft der Menschen in unendliche Weiten. Sie eröffnet eine Mikroperspektive in Dimensionen, in der die Materie sich aufl öst – die Domäne mathematischer Höchstleistungen und ein Eldorado für spirituelle Denker, die von hier aus Brücken zu spirituellen Sphären schlagen. Andere Forschungsergebnisse geben dem Menschen dafür umso mehr Bodenhaftung. Durchleuchtet von verschiedenen Disziplinen, verwandelt sich der Homo Sapiens in eine Biomaschine, ausgestattet mit komplexem Programm. Aber das entzieht sich weitgehend seiner Kontrolle. Soziologisch determiniert, biochemisch fixiert, gehirntechnisch lokalisiert bleibt ihm nur ein kleiner Rest, um kreativ sein Leben zu gestalten. Der entscheidende? Gespräch mit einem interdisziplinären Forscher über menschliches Vorstellungsvermögen, die Macht der Prägung und die Freiheit des Willens.

PB: Die meisten von uns haben als Schulwissen über das Innenleben der Elemente noch das Bohrsche Atommodell abgespeichert: Elektronen, die um einen festen Kern kreisen. Das erschien irgendwie noch greifbar, ist aber nur eine Vorstufe. Die Quantenphysik dringt noch viel tiefer in den Mikrokosmos vor. Wie kann man sich diese Größenverhältnisse, beispielsweise in einem Bild gedacht, noch zugänglich machen?

Ewald: Als Annäherung ist es brauchbar, wenn man von dem Atommodell ausgeht, das in vergröbernder Vorstellung wie ein Planetensystem aufgebaut ist. Aber nehme ich diese Planeten bzw. Elektronen oder die Sonne, also den Kern, immer weiter unter die Lupe, verschwimmt das Bild plötzlich. Das Atommodell ist nicht falsch, sondern es ist noch zu grob, um die Feinstruktur der Materie zu erklären. Die Quantenphysik reicht in andere Größenbereiche hinein, in Miniaturbereiche, denen gegenüber sich die Atome wie Planetensysteme gegenüber diesem Zimmer verhalten.

PB: Als allerkleinstes Teilchen wurde das so genannte Partikel entdeckt, das in sich nochmals solche Größendimensionen tragen soll. Löst sich die Materie auf, je genauer man sie betrachtet?

Ewald: Wenn man immer tiefer in ein Verständnis der Materie eindringt, muss man letztlich auch die Teilchenvorstellung aufgeben. „Teilchen“ ist nur ein Begriff aus unserer Sprache, um schon reichlich komplizierte Strukturen zusammenzufassen. Aber diese Teilchen sind nicht – wie man sie sich gerne vorstellt – banale Kügelchen, die man nicht mehr teilen kann und die selbst keine Eigenschaften haben. Sondern was wir Teilchen nennen, ist schon ein sehr schwer zu beschreibendes Schwingungsgebilde in einem energieerfüllten Raum.

PB: Können diese Partikel noch lokalisiert werden?

Ewald: Schon das Elektron kann man nicht mehr richtig lokalisieren. Wie die Physiker sagen: Es ist über seine Bahn verschmiert. Und selbst von dieser Bahn kann man nicht mehr genau sprechen – ohne sehr zu vergröbern. Wenn man das weitertreibt, kommt man an die Grenzen unserer Vorstellungskraft überhaupt. Wobei interessanterweise die Mathematik immer noch weiter vorstoßen kann. Sie fasst gut in ein System, was unsere Vorstellung nicht mehr zu fassen vermag.

PB: Spiegelt sich das, was wir unter mathematischer Logik verstehen, denn auch tatsächlich in den bisher erforschten Naturgesetzen?

Ewald: Ja. Die logische Deduktion, also angewandte Logik, schlägt sich in den mathematischen Formeln in der Naturwissenschaft nieder. Und es ist eines der größten Rätsel in der Naturwissenschaft, dass dasjenige, was man auf dem Weg der logischen Ableitung fi ndet, in den Naturprozessen so oft seine Entsprechung hat. Hier besteht eine Übereinstimmung in den inneren Abläufen, als ob die Natur selbst eine Logik in sich hätte. Es ist einfach ein Wunder. Die Naturwissenschaftler können nur darüber staunen, wissen es aber nicht zu begründen.

PB: Wenn Materie laut Quantenphysik nur eine von vielen Realitäten ist, was sehen, fühlen, tasten wir dann ringsum?

Ewald: Die Schwierigkeit liegt darin, dass unser Betasten mit den Händen, unser Sehen mit den Augen, unser Hören schon auf materiellen Prozessen beruht, das heißt eigentlich schon die Grobstruktur, die großen Gebilde des Materiellen benutzt. Um hinter dieses Grobe zu kommen, muss man sein Denken erweitern, nicht nur die Messinstrumente. Ein bisschen kann man verstehen, wenn man eine glatt polierte Oberfläche unter einem Mikroskop betrachtet und die Vergrößerung immer stärker einstellt. Dann wird aus dieser spiegelglatten Oberfläche plötzlich ein völlig unglattes Gebilde, ein Gebirge. Wenn ich dann noch weiter vergrößere, merke ich, dass da Atome schwingen. In dem, was ich ursprünglich als glatte Fläche oder Wand betrachtet habe, herrscht also ein chaotisches Spiel. Scheinbar. Und die Quantenphysik dringt noch tiefer vor. Und dabei müssen wir noch mehr Vorstellungen aufgeben als die einer glatten Oberfläche.

PB: Welche beispielsweise? Dass es eigentlich gar keine Materie gibt?

Ewald: Das Materielle ist mehr das, was man eigentlich Schwingung im Raum selbst nennen muss. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir uns normalerweise schon Materie denken, wenn wir Schwingung sagen. Sprich, wir stellen uns vor, wie die Luft oder das Wasser schwingen. Während hier umgekehrt die Materie erst damit erklärt werden soll, dass sie schwingt. Aber dann stellt sich die Frage, was da schwingt? Da sind die Physiker in Verlegenheit. Das können sie nicht beantworten. Man könnte höchstens sagen, der Raum hat die Fähigkeit zu schwingen.

PB: Dann ist er aber auch nicht vor allem leer, bzw. dann ist das Nichts auch nicht die größte, sich ausbreitende Sphäre, wie immer wieder postuliert wird?

Ewald: Der Raum ist nicht leer, sondern er ist voller Energie bzw. ein Feld, in dem Schwingungen möglich sind, und zwar sehr regelmäßig sich wiederholende Schwingungen. Sonst gäbe es gar nicht Begriffe wie Lichtteilchen, Elektron oder Positron. Das beruht auf der unglaublichen Regelmäßigkeit, auf die man in diesem scheinbaren Chaos stößt und die kaum noch zu verstehen ist, wenn man experimentell in die tiefen Bereiche des Mikroskopischen vordringt.

PB: Heißt das, im Chaos herrscht auch Ordnung?

Ewald: Ja, diese merkwürdige Verbindung aus Ordnung und Chaos ist eines der größten Wunder in der Natur.

PB: Und wirft die neue alte Frage auf: Woher kommt, wer schafft die Ordnung im Chaos?

Ewald: Wissenschaftlich gesehen, muss man das letztlich offen lassen. Vieles von der Ordnung im Chaos ist durch die Prinzipien der Biologie, der Psychologie, unseres Weltverständnisses insgesamt erklärbar – auch des wissenschaftlichen, aber letztlich ist es ein offenes Problem, was die Welt zusammenhält und was ihr eine Richtung gibt.

PB: Die ins Immaterielle reichende Quantenphysik fi ndet auch viel Nachhall, wenn es um die spirituelle Seite des Menschen geht. Auf Basis der These, dass alles aus den gleichen Partikeln geformt ist, werden spirituelle Themen wie Telepathie neu erforscht. Was denken Sie über die Möglichkeit dieses Phänomens?

Ewald: Telepathie, Hellsehen und Psychokinese müssen nicht unbedingt als spirituell angesehen werden; sie können – mindestens teilweise – Naturphänomene darstellen, die auch quantenphysikalisch nicht voll erfassbar sind. Zwar gilt ihre Existenz unter Naturwissenschaftlern als strittig, sie werden aber merkwürdigerweise praktisch genutzt. Beispielsweise hat die CIA zur Zeit des Kalten Krieges Millionen in die Einübung und Praktizierung von Hellsehen zu Spionagezwecken investiert, mit mäßigem Erfolg. Gott sei Dank; man hätte sonst ein Instrument gefunden, um so ziemlich alles auszuspionieren. Immerhin wurde das erste sowjetische Atom- U-Boot während seines Baus hellseherisch gesichtet – das Pentagon glaubte allerdings dem ungeheuerlichen Bericht nicht, bis das U-Boot vom Stapel lief und sich alles bestätigte. Paranormale Phänomene sind generell schwer systematisch zu fassen.

PB: Zu dem spirituellen Gedankengut rund um die Quantenphysik als „Physik der Möglichkeiten“ zählt auch: Das Feinstoffl iche, der Ursprung des Lebens sei entscheidend. Darum sei der Mensch im Grunde ein spirituelles Wesen und habe die damit verbundenen Möglichkeiten, z. B. die Kraft der Gedanken, längst nicht ausgeschöpft. Was denken Sie über solche Brückenschläge?

Ewald: Das „Feinstoffliche“ ist ein esoterischer Begriff und liegt der Quantenphysik fern. Ursprung des Lebens und Spiritualität des Menschen können ebenfalls nicht quantenphysikalisch erklärt werden. Aber quantenphysikalisches Denken öffnet einen Horizont, der über Physik hinausweist. Man kann damit rechnen, dass in absehbarer Zeit die – noch immer auf klassischer Physik basierende – Biologie ihre Grundlagen im Licht der Quantenphysik neu bedenken muss.

PB: Was heißt das insbesondere für Hirnbiologie und Neuroforschung? Viele Prozesse, die in den 100 Mrd. Nervenzellen des Gehirns ablaufen, legen, wie Sie schreiben, auch noch die Einbeziehung chaostheoretischer Methoden, insbesondere die Verwendung so genannter seltsamer oder chaotischer Attraktoren nahe. Was bedeutet das und wie hängt das mit Quantenphysik zusammen?

Ewald: Das fing so an: Ein Wetterforscher – Edward Lorenz – entwickelte unter vereinfachten Bedingungen eine mathematische Verlaufskurve für die Wetterentwicklung und stellte überrascht fest, dass die Kurve im zeitlichen Verlauf zwischen zwei Wetterzuständen hin und her pendelte. Eine Wettervorhersage war demnach auch theoretisch nicht möglich, von der Zahl der Messdaten ganz abgesehen. Ähnliche Verlaufskurven gibt es bei vielen Naturprozessen, insbesondere Hirnvorgängen. Streben sie mehreren oder gar unendlich vielen Zielpunkten zu, so nennt man die Gesamtheit dieser „Anziehungspunkte“ (Attraktoren) einen chaotischen Attraktor. Ein winzig kleiner Anstoß kann entscheiden, welcher Zustand – z. B. welches Wetter – wirklich eintritt. In der Hirnbiologie stößt man mit der hohen Empfindlichkeit gegenüber Einflüssen in Quantenbereiche vor – ein noch kaum erforschtes, wegen der großen Zahl chaotischer Attraktoren aber hoch relevantes Phänomen. Möglicherweise gibt es hier auch einen Ansatzpunkt für Einflüsse, die nicht einmal quantenphysikalisch fassbar sind.

PB: Trotz seines kosmischen Innenlebens soll das Gehirn nach der Kindheit vorrangig auf Musterbestätigung aus sein. Wie kreativ, wie veränderungsfähig ist es?

Ewald: In der Psychologie hat man mittlerweile mit lange herrschenden Vorstellungen gebrochen. Früher nahm man an, dass die Bahnungen im Gehirn, sozusagen die Art der Bahn, bereits in der Kindheit festgelegt werden und sich bei älteren Menschen nicht mehr verändern würden. In den letzten Jahren hat man herausgefunden, dass diese Annahme schlicht nicht stimmt, stattdessen verändert der Mensch die Bahnungen in seinem Gehirn lebenslang. Das bedeutet zudem, dass er immer wieder neue Prägungen erlebt, wenn auch weniger auffällig und intensiv als bei Kindern. Hier zeigt sich die Offenheit und Möglichkeit, in Neues vorzudringen. Das gehört zum Interessantesten und Schönsten beim Menschen. Ich bin ja nicht mehr sehr jung, aber ich lerne heute noch gerne Gedichte auswendig und finde das ein sehr schönes Erlebnis.

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Quelle: promobizz.de

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